Mädcheninternat

Mädchen im Mädcheninternat

Vor rund 70 Jahren schuf Enid Blyton mit ihrer erfolgreichen Romanserie um die Zwillingsschwestern Hanni und Nanni den Idealtypus des Mädcheninternats. Angeregt durch diese Vorstellungswelt, träumt auch heute noch so manches Mädchen davon, in einer reinen Mädchengemeinschaft Abenteuer zu erleben und Mitternachtspartys im Schlafsaal zu feiern. Aber gibt es nach dem jahrzehntelangen Siegeszug der Koedukation heutzutage überhaupt noch Mädcheninternate in Deutschland?

Mädcheninternate im modernen Deutschland

In Deutschland existieren noch acht Mädcheninternate mit der klassischen Kombination aus allgemeinbildender Schule und Wohnheim. Die Hälfte davon ist in Bayern angesiedelt, je zwei gibt es in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Fünf der Mädcheninternate führen ihre Schülerinnen bis zum Abitur. Alle Schulen befinden sich in kirchlicher Trägerschaft, wobei sowohl die katholische als auch die evangelische Konfession vertreten ist. Ein Mädcheninternat mit nicht-christlicher Ausrichtung ist im deutschsprachigen Raum momentan nicht anzutreffen, auch nicht in Österreich oder der Schweiz. Allerdings nehmen die christlichen Internatsschulen z. T. auch Schülerinnen ohne Kirchenmitgliedschaft auf, sofern diese bzw. ihre Eltern die vertretenen Werte und pädagogischen Konzepte anerkennen.

Vorteile und Nachteile eines reinen Mädcheninternats

Studien deuten darauf hin, dass sich eine geschlechtergetrennte Schulbildung für Mädchen sehr positiv auswirken kann: Im Vergleich zu ihren Geschlechtsgenossinnen aus koedukativen Schulen sind Mädchen aus Mädchenschulen risikobereiter, wählen häufiger "typisch männliche" Berufe und verdienen später ein höheres Durchschnittsgehalt, sofern sie nicht verheiratet sind. Wissenschaftler vermuten, dass in koedukativen Schulen ein hoher Druck besteht, sich traditionellen Rollenmustern anzupassen, sodass Mädchen etwa in naturwissenschaftlichen Fächern weniger Selbstbewusstsein zeigen. Gegner der Geschlechtertrennung argumentieren hingegen, dass es wichtig sei, bereits in der Pubertät einen respektvollen, produktiven Umgang miteinander zu lernen. Auch im Berufsleben sei schließlich das Arbeiten in geschlechtergemischten Teams an der Tagesordnung. Eine abschließende Antwort darauf, ob Monoedukation der richtige oder der falsche Weg ist, gibt es noch nicht. Im Zweifelsfall sollten Eltern auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse ihres Kindes hören.

Besser Lernen im Mädcheninternat

Ein Mädcheninternat ist eine schulische Einrichtung mit Internat, das ausschließlich Mädchen zur Betreuung, Erziehung und zum Unterricht aufnimmt. Die Trägerschaft ist häufig konfessionell geprägt, daher findet man in einem Mädcheninternat oft Ordensschwestern als Lehrerinnen und Erzieherinnen. Eltern, die ihre Tochter in einem Mädcheninternat unterrichten und erziehen lassen wollen, haben sich bewusst gegen eine gemischte Schule entschieden. Die Vor- und Nachteile von gemischten Unterrichtsformen sind sorgfältig gegeneinander abzuwägen, bevor man sich für die Variante der Geschlechtertrennung an Schulen und in Internaten entscheidet. Die Wichtigkeit dieser Entscheidung zeigt die immer wiederkehrende Diskussion in der Öffentlichkeit und unter Bildungsträgern zum Thema Mädcheninternat. Der Unterricht in einem Mädcheninternat ist auf die spezifischen Stärken von Mädchen ausgerichtet, die in einer gemischten Schule in dieser Form nicht gewährleistet werden kann. Die Tatsache, dass auch hinsichtlich des Lehrkörpers in der Regel ausschließlich Frauen tätig sind, stellt einen geschützten Rahmen sicher, der für einige Mädchen für ihre Entwicklung sehr wichtig ist. Unter sich können sich Mädchen ungestörter entwickeln und ihre weibliche Identität entdecken. Die Schwerpunkte der Erziehung sind in einem Mädcheninternat auf die besonderen Belange von Mädchen ausgerichtet. So müssen sich beispielsweise beim Sport die Mädchen nicht mit Jungs messen und im Freizeitangebot finden sich überwiegend speziell auf Schülerinnen ausgerichtete Aktivitäten. In einem Mädcheninternat kann viel intensiver an einer geschlechterorientierten Persönlichkeitsentwicklung gearbeitet werden, als das in einer gemischten Schule, bzw. Internat möglich ist. Diese Tatsache führt zu einer Stärkung der Mädchen, die nach ihrer Internatszeit mit den besten Voraussetzungen ausgestattet in ihr Leben als erwachsene Frauen treten können.

Stärken eines Mädcheninternats - Förderung, Achtung und Vertrauen

In den Mädcheninternaten wachsen die jungen Mädchen zu erfolgreichen Frauen heran, die das gesellschaftliche Leben aktiv mitgestaltet, die im Beruf eine schöpferische Arbeit leisten und auch im persönlichen Leben Glück und Erfüllung finden sollen. Das Mädcheninternat muss an die Heranwachsenden hohe Forderungen stellen, an ihre Bildung, an ihr Bewusstsein, an ihr Denken und Verhalten. Keine Erzieherin kann deshalb die Hände in den Schoß legen und sozusagen tatenlos abwarten, wie sich die Mädchen entwickeln werden.

Es müssen auch klare Forderungen an das Kind, an die Jugendliche gestellt werden. Jedes „Schleifenlassen“ ist von Übel.
Während es die Mehrzahl der Mädcheninternate versteht, mit zunehmendem Alter des Kindes höhere Forderungen zu stellen, an den erreichten Entwicklungsstand anknüpfend neue erreichbare Ziele zu weisen, zeigt sich in einer Reihe von Internaten die Tendenz, im Jugendalter die Zügel aus der Hand zu legen. Aber auch in dieser Entwicklungsetappe brauchten die Jugendlichen Führung der Erwachsenen, braucht sie die von gesellschaftlichen Forderungen abgeleiteten Entwicklungsanstöße. Dabei muss im Mädcheninternat, wie in der Schule, stets eine einheitliche Linie verfolgt werden. Was heute erlaubt ist, kann nicht morgen verboten sein, was heute getadelt wird, kann nicht morgen stillschweigend geduldet werden. Konsequenz in der Erziehung ist auch in dieser Zeit vonnöten, denn sie erspart zermürbende Diskussionen und Auseinandersetzungen. Diese Konsequenz schließt jedoch nicht aus, dass bei veränderten Bedingungen nicht auch veränderte Forderungen gestellt werden.
Der Erziehungsstil ist jedoch nicht nur durch die konsequenten Forderungen gekennzeichnet, sondern vor allem auch durch die Achtung vor der Persönlichkeit. Forderung und Achtung sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wir achten in unserer Tochter die junge Bürgerin, wir haben Vertrauen zu ihr, wir betrachten sie als unsere junge Freundin, der wir mit Rat und Tat zur Seite stehen. Bald sollen die jungen Mädchen in der Lage sein, ihr eigenes Leben zu führen, verantwortungsbewusst wichtige Lebensentscheidungen zu treffen und ihren persönlichen Fähigkeiten entsprechenden Beruf zu wählen, ihren Platz im Leben der Gesellschaft zu bestimmen und einen Partner fürs Leben zu Finden. Wir können ihr keine dieser Entscheidungen abnehmen, wir können sie nur allmählich zu solchen Entscheidungen befähigen. Dabei müssen wir uns immer sagen: Was wir in der Erziehung bis jetzt nicht im Guten erreicht haben, das erreichen wir nun auch nicht mehr im Bösen. Drohungen, harte Strafen, Bevormundung, sie haben in keinem Lebensalter des Kindes ihren Platz, am allerwenigsten aber im Jugendalter.
Wenn wir uns das Vertrauen erhalten wollen, müssen wir Vertrauen schenken, müssen wir mit Takt und Feingefühl den jungen Mädchen begegnen.
Der Erziehungsstil, die Art und Weise, wie die Kinder und Jugendlichen zu den erwünschten Erkenntnissen, Überzeugungen und Verhaltensweisen geführt werden, ist von größter Bedeutung für die Erziehung. Die vielfältigsten Erfahrungen aus der pädagogischen Praxis, auch aus dem Alltag im Mädcheninternat zeigen, dass die Abhängigkeit von dieser Art und Weise der Führung, vom Stil der Erziehung, sehr unterschiedliche Ergebnisse erreicht werden. Zusammenfassend kann man sagen: Der Erziehungsstil zeichnet sich durch hohe, bestimmte Anforderungen an die Persönlichkeit des Heranwachsenden und durch hohe Achtung vor ihr aus. Die Erzieherin versucht, ausgehend vom Erziehungsziel, das selbständige Denken und das den gesellschaftlichen Normen entsprechende Verhalten des Mädchens zu fördern, indem sie Normen vermittelt und in freundschaftlicher Form, durch Ratschläge, Denkanstöße, Ansporn und helfende Kritik wirksam wird.

Ein harmonisches Leben im Mädcheninternat

Erziehung besteht nicht nur in Gesprächen, in Geboten und Verboten.
Wenn es so einfach wäre, wenn es nur an der Anzahl der richtigen Worte läge, die wir in erzieherischer Absicht an die Mädchen richten, an die Heranwachsenden, dann wären die meisten Jugendlichen bereits vollendete Persönlichkeiten; denn an Worten fehlt es wohl in den wenigsten Familien.
Was da so täglich auf die Kinder, auf die Jugendlichen „herabprasselt“, ist beachtlich. Wir sollten uns einmal die Mühe machen, uns selbst zu beobachten, mit welchem Wortreichtum wir unsere Erziehungsbemühungen begleiten. Dabei sind es häufig gerade Kleinigkeiten, Äußerlichkeiten, die uns zu immer wiederkehrenden Ermahnungen, Vorwürfen, Vorhaltungen, Drohungen und Unmutsäußerungen veranlassen.
In der Erziehung zählen aber nicht nur die Worte. An der Erziehung ist alles beteiligt: die Persönlichkeit der Eltern, ihr Vorbild, die Lehrerinnen und nicht zuletzt die gesamte Lebensorganisation und Lebensweise im Mädcheninternat. Man muss darauf verwiesen, dass vor allem die Harmonie, die Ausgeglichenheit, die optimistische Grundstimmung, das gegenseitige Miteinander und Füreinander im Mädcheninternat, das gemeinsame Bemühen um die Lösung auftauchender Probleme von großer Bedeutung sind. Das macht die Erziehung leicht und schwer zugleich. Wenn das Leben in einem Mädcheninternat, angefangen von der Tages- und Wocheneinteilung, von den festen Aufgaben, die jede hat, über die Lebensgewohnheiten bis hin zu den persönlichen Beziehungen zwischen den Internatsschülerinnen, in Ordnung ist, das heißt, es wird auf die Kinder wie auf die Jugendlichen starke erzieherische Einflüsse ausgeübt. Die Heranwachsende findet im Mädcheninternat ein bestimmtes „Klima“, eine ganz besondere Art und Weise des Lebens vor und wird - ohne dass es ihr selbst bewusst ist - allmählich davon geformt. Internatserziehung ist abhängig von der gesamten Organisation, der gesamten Art und Weise des Lebens; und deshalb kann man nur erfolgreich erziehen, wenn man das gesamte Internatsleben so gestaltet, dass es die direkten Erziehungsbemühungen, die zielklare Führung der jungen Menschen, die verständnisvolle Entwicklung ihrer Persönlichkeit unterstützt.

Alle Internatsmitglieder haben Rechte und Pflichten, es herrscht eine klare Aufgabenverteilung, und das Leben verläuft ohne Hektik, Nervosität und kleinlichen Streit. Die gegenseitige Fürsorge und freundschaftliche Hilfe überwindet Probleme und Schwierigkeiten. Es herrscht eine harmonische Atmosphäre, in der die Schülerinnen Geborgenheit finden, auch dann, wenn sie Fehler begangen haben.

Die Beschäftigung mit der schöngeistigen Literatur, die vielseitige Interessiertheit an den geistigen, politischen, kulturellen Problemen unserer Zeit, an der Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik, der Theater- und Konzertbesuch, der Besuch von Museen, Gedenkstätten, Ausstellungen, die Teilnahme an Sportveranstaltungen, das Wandern, die Touristik, die aktive sportliche Betätigung - all das gehört zum Leben in einem Mädcheninternat. Dieses gesamte Leben im Internat ist Erziehung. Das ist den Lehrerinnen bewusst. Die Aufgabe ist es, das Internatsleben so zu gestalten, dass es die erzieherischen Bemühungen unterstützt.

Je älter die Mädchen werden, desto mehr müssen wir ihnen Gelegenheit geben, ihren aktiven Beitrag zur Gestaltung des Lebens zu leisten, ihre gewachsenen Fähigkeiten und Möglichkeiten für eine inhaltliche Bereicherung des Zusammenlebens zu nutzen. Wenn sie selbst für das Zusammenleben im Internat, für die abwechslungsreiche Nutzung der Freizeit Verantwortung tragen, dann werden sie sich der Internatsgemeinschaft auch enger verbunden fühlen.

Mit dem Mädcheninternat eng zusammenarbeiten

Die Familie trägt eine große Verantwortung für die Erziehung der Kinder und für die Entwicklung der Jugendlichen. Sie kann dieser verantwortungsvollen Aufgabe umso besser gerecht werden, je enger und vertrauensvoller sie mit den anderen Erziehungskräften, vor allem mit dem Internat, zusammenarbeitet. Wie wichtig diese Zusammenarbeit ist, erkennen immer mehr Eltern. Sie nehmen die Möglichkeiten wahr, die ihnen das Mädcheninternat bietet.
Gerade das Jugendalter birgt viele Probleme, Widersprüche und Konflikte. Sie können besser überwunden werden, wenn Eltern, Internat und alle Lehrerinnen an einem Strang ziehen, zu einheitlichen Auffassungen gelangen und eine einheitliche Linie verfolgen. Deshalb sollten nicht nur die Elternversammlungen, sondern auch die anderen Möglichkeiten für die Zusammenarbeit mit dem Mädcheninternat wahrgenommen werden.
In vielen Mädcheninternaten finden regelmäßig Elternsprechstunden statt, in denen die Pädagogen in individueller Art und Weise auf bestimmte Erziehungsfragen eingehen können. Jeder Vater, jede Mutter sollte diesen Bemühungen der Pädagogen mit Vertrauen und Aufgeschlossenheit entgegenkommen.
Die Erfahrungen zeigen, dass sich eine solche aktive, bewusste Zusammenarbeit mit der Schule auch günstig auf die Entwicklung der Kinder auswirkt.
Fast alle Eltern haben heute erkannt, wie wichtig es ist, dass ihre Kinder ein hohes Wissen erwerben, in der Schule gut lernen und sich auch darüber hinaus noch Kenntnisse aneignen. Das Lernen genießt eine hohe Wertschätzung bei fast allen Eltern, und die Kinder und Jugendlichen werden in vielfältiger Weise durch das Mädcheninternat unterstützt. Es gibt jedoch Anzeichen, dass manche Eltern ihre Aufmerksamkeit zu ausschließlich und einseitig auf das Lernen ihrer Kinder und deren schulische Entwicklung richten und andere Seiten der Persönlichkeitsentwicklung vernachlässigen.

Pädagogische Kenntnisse, pädagogische Fähigkeiten erwerben

Während noch im vergangenen Jahrhundert die Meinung vorherrschte, dass die Eltern allein kraft ihres Beispiels und ihrer Liebe die Kinder erziehen können, müssen wir heute davon ausgehen, dass zur Erziehung in der Familie mehr gehört, dass ganz bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten notwendig sind. Erfolgreich erziehen kann man nur, wenn man sich ständig bemüht, pädagogische, psychologische und schulische Kenntnisse zu erwerben, seine pädagogischen Fähigkeiten zu entwickeln und zu einem tieferen Verständnis für die Probleme der Heranwachsenden zu gelangen.
Unter unseren heutigen gesellschaftlichen Bedingungen, bei den hohen Forderungen, die an die Heranwachsenden, an ihre Bildung und Kultur, an ihr Bewusstsein und Verhalten gestellt werden müssen, reichen auch in der Familienerziehung die Erfahrungen nicht mehr aus. Wir können unsere Kinder nicht genauso erziehen, wie frühere Generationen ihre Kinder unter ganz anderen gesellschaftlichen Bedingungen erzogen haben.
Viele, viele Eltern haben das erkannt. Sie wollen sich Rat holen, wie man in der Erziehung vorgehen muss, welches Verhältnis man zum Jugendlichen entwickeln soll, welche Probleme es zu beachten gilt und welchen Lebensbereichen und Fragen besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist.
Auch pädagogische Fähigkeiten sind nicht angeboren. Sie werden in der Tätigkeit, im Umgang mit dem Jugendlichen, in der Zusammenarbeit mit dem Mädcheninternat, durch die bewusste Beschäftigung mit pädagogischen und psychologischen Fragen entwickelt.

Die Erziehung der Kinder ist eine verantwortungsvolle, auch für ein Mädcheninternat nicht immer leicht zu lösende aber auch sehr schöne Aufgabe. Fortschritte werden sich aber rascher einstellen und Schwierigkeiten vermeiden lassen, wenn die Mädcheninternate bewusst die Bedingungen der Entwicklung beachten. Das gilt auch und besonders für das Jugendalter, denn die Bildung und Erziehung der Zehn- bis Sechzehnjährigen bringt für die Internate hohe Anforderungen mit sich.
Die Erziehung der jungen Mädchen wird also nicht einfach, und Wissen über die Altersbesonderheiten ist für die Internate eine große Hilfe.

Viele Bedingungen beeinflussen die Entwicklung

Die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit hängt von vielen Bedingungen ab, die in unterschiedlichem Maße pädagogisch beeinflussbar sind.
Die Erkenntnisse der Pädagogik und Psychologie beweisen jedoch, dass die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen in erster Linie von der Erziehung in Schule und Elternhaus beeinflusst wird. Je bewusster sich die Eltern bei ihrem pädagogischen Handeln von den Zielen der Erziehung leiten lassen, je bewusster sie die Forderungen an das Wissen und Können sowie an das Verhalten der Jugendlichen zum Bezugspunkt auch des eigenen Handelns machen, desto besser wird es ihnen gelingen, die Kinder zu allseitig entwickelten Persönlichkeiten zu erziehen. Erziehung und Bildung ist ein sehr kompliziertes Geschehen. Pädagogische Einwirkungen führen nicht immer sofort zum gewünschten Erfolg, Einstellungen und Überzeugungen, wertvolle Charaktereigenschaften der Eltern oder anderer Erwachsener und Jugendlicher übertragen sich nicht automatisch auf die Kinder. Wäre dies der Fall, gäbe es kaum Probleme oder gar Schwierigkeiten bei der Erziehung. Die Jugendlichen sind vielmehr eigenständige Persönlichkeiten, die bereits eine Entwicklung durchlaufen haben. Sie sammelten ihre Erfahrungen in vielen Lebensbereichen, haben eigene Ansichten und Meinungen kurzum, sie haben ihren „eigenen Kopf“. Die Heranwachsende bezieht daher bei erzieherischen Einwirkungen eine „Position“, sie nimmt Stellung, nicht immer bewusst und verstandesmäßig begründet, wohl aber gefühlsmäßig und in Form des Erlebens. Dabei spielen besonders die individuellen Eigenarten des Jugendlichen eine gewichtige Rolle. Das erreichte geistige Niveau, die Überzeugungen und Einstellungen, Charaktereigenschaften und Gefühle und auch Temperamentbesonderheiten bestimmen mit, auf wie fruchtbaren Boden das pädagogische Bemühen fällt, wie sich die Erziehungsabsichten im Mädcheninternat in den Köpfen der jungen Menschen widerspiegeln. Daher ist es notwendig, das Alter und die individuellen Besonderheiten bei der Erziehung stets zu beachten. Auf die gleiche Maßnahme können die Kinder in einem Mädcheninternat sehr unterschiedlich reagieren, und es geht nicht an, alle jungen Mädchen über „einen Kamm zu scheren“.
Die Persönlichkeitsentwicklung ist stets an vielseitigem Handeln, an bewusstes Tätig-Sein gebunden. Die Heranwachsende soll daher an der Gestaltung der entwickelten der Gesellschaft mitwirken. Ist der Jugendliche vorwiegend nur „Zaungast“ der gesellschaftlichen Entwicklung, so bleibt sie ohne Zweifel auch in ihrer Persönlichkeitsbildung zurück. Pädagogisch erfahrene Lehrer widmen daher der Tätigkeit der Kinder größte Aufmerksamkeit, und sie wissen auch, dass besonders das Handeln zur Persönlichkeitsbildung beiträgt.

Der Kontakt mit „ihrer“ Gruppe, insbesondere der Klasse, sollte zum echten Lebensbedürfnis werden. Es ist bewiesen, dass fehlender sozialer Kontakt zu Gleichaltrigen die Persönlichkeitsentwicklung hemmt. Nur bei der tätigen Mitgestaltung des Lebens können sich Verantwortungsbewusstsein, Hilfsbereitschaft, Fähigkeit zur Kritik und Selbstkritik, Durchsetzungsvermögen und andere wertvolle Eigenschaften entwickeln. Das sollten Eltern stets beachten, auch wenn vereinzelt durch die enge Bindung an einem Mädcheninternat Probleme entstehen können. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die bestehenden Gruppennormen dem Erziehungsziel teilweise widersprechen. Jugendliche übernehmen dann auch einmal negative Verhaltensweisen bzw. kann es zu ernsteren Widersprüchen zwischen den Auffassungen des Internats und den in der Gruppe vorherrschenden Meinungen kommen. In einem solchen Falle genügt die Auseinandersetzung meist nicht, vielmehr ist die Hilfe der Lehrerinnen erforderlich. Die Entwicklung des Heranwachsenden können die Mädcheninternate allein nicht garantieren.

Erziehung und Altersbesonderheiten

Wer die Entwicklung der Heranwachsenden genauer betrachtet, wird feststellen können, dass es bei aller Unterschiedlichkeit der Kinder ähnliche Verhaltensweisen bei Mädchen der gleichen Altersstufe gibt.
Diese gemeinsamen psychischen Wesenszüge sollen - bezogen auf das Jugendalter im Folgenden dargestellt werden.
Wie entstehen diese alterstypischen Besonderheiten?
Viele Bedingungen können die Entwicklung der Persönlichkeit und damit auch das Auftreten von Altersbesonderheiten bestimmen. Eines ist aber gewiss: Alterstypische Besonderheiten werden nicht in erster Linie von „innen“ heraus bedingt, sie sind nicht direktes Resultat eines biologischen Reifungsprozesses, sondern sie sind das Ergebnis des dialektischen Zusammenwirkens äußerer Einwirkungen mit inneren Reifungsvorgängen. So sind die Altersbesonderheiten einerseits das Ergebnis der Anforderungen an das Wissen, Können und Verhalten des Jugendlichen. Andererseits bestimmt das schon erreichte Entwicklungsniveau der Persönlichkeit, in welchem Maße die Anforderungen und Normen wie sie in einem Mädcheninternat, der Familie usw. vertreten werden - von der Persönlichkeit tatsächlich verstanden, anerkannt und erstrebt werden. Die meisten Altersbesonderheiten verändern sich auf Grund ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit mit der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, insbesondere in Abhängigkeit von der weiteren Vervollkommnung des Schulsystems und den damit gegebenen Anforderungen. Zum Beispiel waren die alterstypischen Kenntnisse der Jugendlichen vor 60 Jahren noch Wissen einer besonders geschulten Elite. Damit wird aber deutlich, dass das Auftreten solcher gemeinsamer Wesenszüge vorrangig, wenn auch nicht ausschließlich, an gemeinsame Tätigkeiten in einem Mädcheninternat gebunden ist.
Mit der historisch bedingten Veränderung der Tätigkeit können sich die Altersbesonderheiten beträchtlich wandeln. Sie können also nur Richtwerte in der Erziehungsarbeit sein und es ist durchaus möglich, dass bei manchen Kindern Alterstypisches weniger deutlich in Erscheinung tritt oder die Altersbegrenzungen nicht zu stimmen scheinen.

Jugendalter im Mädcheninternat - Vorbereitungszeit

Wie in allen Altersstufen ist auch die Entwicklung im Jugendalter vorwiegend gesellschaftlich bedingt. Noch im Mittelalter gab es das für uns typische Jugendalter nicht, da die Mehrzahl der Menschen zum Zeitpunkt des Abschlusses der körperlichen Reife - er erfolgte später als heute - auch geistig-charakterlich fähig war, die wichtigsten gesellschaftlichen Anforderungen zu erfüllen. Erst mit dem Komplizierter werden der menschlichen Gesellschaft - bedingt durch die Weiterentwicklung der Gesellschaft und die damit verbundenen höheren Anforderungen an das Wissen und Können der Menschen - entstand eine Diskrepanz zwischen dem Zeitpunkt der biologischen Reife und der zu diesem Zeitpunkt gegebenen Befähigung der Persönlichkeit, den gesellschaftlichen Anforderungen an das Wissen und Können sowie an das Verhalten gerecht zu werden. Die höheren Anforderungen der Gesellschaft machten eine lange Ausbildung der Persönlichkeit notwendig, und damit entstand das Jugendalter als Entwicklungsetappe der unmittelbaren Vorbereitung auf das Erwachsensein in intellektueller und charakterlicher Hinsicht.
Diese gesellschaftlich entstandene Übergangszeit wird - wie könnte es anders sein - in ihrer Spezifik sehr stark von der jeweiligen Gesellschaftsordnung bestimmt. Unsere Jugend lebt heute unter anderen Bedingungen als wir in unserer eigenen Jugend, und wir müssen fragen, welche Faktoren das Jugendalter besonders charakterisieren.