Was ist eine gute Schule?

Eine gute Schule

Was macht eine gute Schule aus?
Diese Frage, so einfach sie klingt, ist sehr vielschichtig. Es gilt, die meist ja doch etwas verschwommenen Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich einer öffentlichen und einer „freien“ Schulwirklichkeit anhand einiger griffiger und klarer Gesichtspunkte zu klären. Jeder von uns verbindet mit seiner Schulzeit gute und schlechte Erfahrungen, Freuden und Leiden. Von diesen Erlebnissen her will ich gutes und schlechtes „Schule machen“ nach verständlichen Aspekten unterscheiden.

Diskussionen über Qualitäten und Mängel der Schule verlaufen oft unbefriedigend. Jeder von uns hat Schulen besucht, genossen, erlitten. Jeder besitzt seine spezifischen Erinnerungen. Die vielen Anekdoten, die bei den Erzählungen von damals zum Besten gegeben werden, kennen wir als beredtes Zeugnis.
Keine Frage, wenn es um Schule geht, ist jeder emotional stark betroffen. Kaum jemand, der nicht mitreden will, kaum jemand, der sich nicht erregt - und kaum jemand, der Schule rundum gut findet. Die Schulzeit hat in unser aller Lebensgeschichte tiefe Spuren hinterlassen. Vermutlich ist es diese Betroffenheit, die zugleich die eklatante Uneinigkeit bei der Kritik der Schule und bei der Suche nach Verbesserung bewirkt.
Ein zweites kommt hinzu: Was als eine gute Schule anzusehen ist, das bestimmen immer auch weltanschauliche, politische und manchmal religiöse Auffassungen. Schulreform oder keine Schulreform, diese Frage wird meist zu einem Politikum. Ob es Fragen sind, die Pädagogen seit langem für geklärt halten, schulische Lernverfahren, die schon vor Jahrzehnten erprobt wurden, Forderungen, die immer wieder erhoben wurden - sobald solches ernsthaft droht, auf die Regelschul-Wirklichkeit Einfluss zu nehmen, stehen konservative wie progressive Politiker, Elternverbände und Lehrerorganisationen Gewehr bei Fuß, um sich publizistische und publikumswirksame Wortgefechte zu liefern.
Meist geschieht es auf dem Rücken der Betroffenen. Doch wen kümmert es? Vor allem, wenn gerade Wahlkampf ist! Wer bemüht ist, allein von pädagogischen Gesichtspunkten her zu denken und zu urteilen, hat es zwischen solchen Fronten schwer.
Über die Schule also erhitzen sich zahllose Gemüter mit zahllosen Argumenten. Was eine gute Schule wäre, das wissen viele, doch ihre Luftschlösser sehen alle anders aus. So wie sich die Schule indessen heute präsentiert, begeistert sie kaum jemanden. Allein dem Kultusminister verbleibt die undankbare Aufgabe, zu verteidigen, was zu verteidigen ist. Doch das ist nicht viel.
Kritiker haben es stets leichter als jene, die in der Verantwortung stehen und selbst gestaltend tätig werden müssen. So können auch die scheinbar so mächtigen Ministerien heute kaum eine Entscheidung treffen, ohne sich zugleich den Zorn diverser Interessengruppen zuzuziehen und eventuelle Wählerstimmen zu verlieren.
Die ungeteilte Zustimmung gewinnt heute noch immer derjenige, der die Defekte des Regelschulwesens skandalträchtig anprangert.
Die Mängelliste aber verdeutlicht, wo die pädagogischen Probleme der aktuellen Schulwirklichkeit liegen. Nicht jeder Kritiker wird jedem Punkt zustimmen. Wunde Punkte sind es aber allemal. Eine gute Schule wird sich daran messen lassen müssen, wie sie mit den hier zutage tretenden Grundfragen umgeht.

Die Beurteilungspraxis und die Leistungsanforderungen der Schule erweisen sich immer wieder als unangemessen

Schulische Lernarbeit gestaltet sich freudlos und ineffektiv

Der Regelschulbetrieb vernachlässigt erzieherische und emotionale Elemente der kindlichen Entwicklung in eklatanter Weise.

Schule also als Moloch, die von Sadisten und Tölpeln erdacht wurde? Aufzählungen wie die vorstehenden mögen einen solchen Eindruck erzeugen. Die Lehrer freilich, so sind sich fast alle Schulkritiker einig, trifft die geringste Schuld. Sie leiden oft doppelt an ihrem Arbeitsplatz. Viele Missstände treffen sie zwar anders, aber ebenso hart wie Schüler und Eltern. Und zugleich müssen sie stets als erste und sichtbarste Zielscheibe herhalten, wenn über Missstände gezetert wird.
Vieles, was wir aus der Schule fürs Leben mitgenommen haben, ist dort nie offiziell unterrichtet worden. Da waren die Bedingungen, unter denen' man zurechtkommen musste, die Klassengemeinschaft, in der man sich durchsetzen musste, die Lehrer, die man zu nehmen wissen musste. So ist die Schule immer auch ein (Über-)Lebenstraining, wogegen an sich nichts zu sagen wäre.
Das Schlimme, ja das Katastrophale aber ist, dass gerade dieser Teil schulischer Wirklichkeit für die Kinder ohne Hilfe, ohne seelischen und pädagogischen Beistand, ohne Rücksichten und völlig unkontrolliert abläuft. Dort, wo Schule gerade heute am meisten gefordert wäre, beim Lehren, wie man lernt, wie man sich Wissen aneignet, beim Umgang mit den eigenen Gefühlen, Ängsten, Wünschen, beim Umgang mit anderen Menschen, beim Umgang mit schwierigen Lebenssituationen, dort leistet sie am wenigsten, dort lässt sie die Kinder allein. Vielleicht liegt darin eine wesentliche Ursache, warum wir mit dem Abstand des Erwachsenen die Schule so oft nur mehr zynisch abhaken können, warum so manchem noch heute ein Schauer über den Rücken läuft, wenn er an seine Schulzeit zurückdenkt, warum manchem nur ein Gefühl der Leere bleibt, des bitteren und etwas befremdlichen Triumphes, sich durchgekämpft zu haben.

Wie unterschiedlich aber sehen zum Beispiel die Montessori-Schulen und die Waldorfschulen das Künstlerische in der Erziehung?

Bei Montessori existiert es geradezu nicht. Sie sieht Erziehung und Lernen praktisch als einen biologischen Vorgang aus natur-wissenschaftlicher Sicht. In den Waldorfschulen findet man die Lern- und Erziehungsprozesse dagegen geradezu durchtränkt mit künstlerischem Verständnis. In jedem Neuen wird der künstlerische Zugang gesucht. Jedes Handeln der Kinder und der Lehrer besitzt eine gestalterische, ästhetische Komponente.
Jahrelang durchlaufen die Kinder und Jugendlichen nun die jeweilige Schulform. Doch zeigen sich die Lern- und Entwicklungsergebnisse der Schüler als so unterschiedlich, wie man es aufgrund dieser so sehr gegensätzlichen Methoden erwarten könnte? Da gibt es noch vieles zu klären und zu untersuchen, was man nicht durch den ersten Augenschein beurteilen kann.
Die bange Frage vieler Eltern lautet im Übrigen, ob die Kinder in freien Schulen denn auch genug für das Erwachsensein und den Beruf lernen. Das ist zu bejahen, es sind gute Schulen. So verständlich die Befürchtung ist, dass die Kinder die etwaige Freiheit an den Schulen zum Nichtstun und Spielen missbrauchen würden. Diese Befürchtung ist unbegründet. Wir wissen heute, dass Kinder und Jugendliche aus eigenem Antrieb ungleich besser und gründlicher lernen, dass die Kunst eines Lehrers nicht im Eintrichtern, sondern im Wecken dieses Antriebs besteht. Und wir wissen auch, dass im Leben derjenige Erfolg hat, der zu einer selbstsicheren Persönlichkeit heranreifen konnte, nicht der Duckmäuser und „Fahrradfahrer“.
Kinder benötigen zum Aufwachsen und Lernen Freiräume. Die Idee, Kinder benötigen eher Zwänge, Vorschriften und Ängstigung, um im späteren Leben mit diesen Realitäten in unserer Zivilisation umgehen zu können, ist Unsinn.
Sie lernen so keineswegs, mit sich, mit ihrem Leben und mit ihrer Umwelt umzugehen. Sie lernen so allenfalls, dass Herrschaft und Gewalt alles ist, was im Leben zählt. Kinder sollten während ihres Heranwachsens stark werden, sich über sich selbst klar werden können, sich ausprobieren dürfen. Sie müssen Fehler machen dürfen, sie müssen ihren eigenen Weg finden können.
Dazu können ihnen freie Schulen verhelfen.

Was macht eine gute Schule beziehungsweise eine gute Erziehung aus

Sie sollten daran denken, dass Erziehungserfolge nur dann zu erwarten sind, wenn auch die anderen an der Erziehung der Heranwachsenden beteiligten Erwachsenen gleichgerichtet pädagogisch auf die Jugendlichen und deren Gruppen einwirken. Die beste „Therapie“ besteht darin, den Jungen und Mädchen zu echten Leistungen zu verhelfen und auf diese Art und Weise ihr Selbstgefühl zu stabilisieren. Andererseits sollten bestimmte Geltungstendenzen nicht überbewertet, „dramatisiert“ werden, da manchmal unterschwellig auch eine gewisse Provokation des Lehrers mitschwingt, nur um zu „testen", ob der Erzieher darauf „einsteigt“ oder nicht.
Eine gesunde Entwicklung des Schülers auf einer guten Schule ist auf die Dauer nur möglich bei einer positiven, leistungsorientierten Einstellung im Bereich der Schule und Gesellschaft überhaupt. Anerkennenswerte Leistungen(in dem Möglichen Leistungsgrenzen) sind und bleiben nun einmal die Voraussetzung einer echten Wertschätzung der Persönlichkeit. Das sollte dem Schüler immer wieder nachdrücklich bewusst gemacht werden.

Eine gute Schule ist auf die Zukunft orientiert

Das Jugendalter ist unmittelbare Vorbereitungsphase auf das Erwachsenenalter. Das gewachsene Bildungsniveau in Schulen, die entwickelten Fähigkeiten des Schülers, sein Bemühen, sich seine Weltanschauung aufzubauen und alles kritisch zu durchdenken, führen verständlicherweise dazu, dass sich der ältere Schüler Gedanken über die Zukunft macht. Das betrifft sowohl die gesellschaftliche Entwicklung als auch speziell seine persönliche spätere Position im Berufsleben.

Zeit der Berufswahl nach der Schule

Deutlichen Ausdruck findet das zunächst in den klarer werdenden Vorstellungen über den späteren Beruf. Während das Kind sehr häufig seine Berufswünsche wechselte und oftmals auch falsche Vorstellungen über die Anforderungen seiner Wunschberufe hatte, gewinnt der Jugendliche, nicht zuletzt durch den schulischen Unterricht, weitergehende Einsichten. Er lernt über Erfahrungen im Unterricht seine Leistungsmöglichkeiten besser einzuschätzen und ist normalerweise bemüht, die Lern- und Arbeitsergebnisse besonders auf jenen Gebieten zu verbessern, die mit dem angestrebten Beruf in Beziehung stehen. Das Lernen des älteren Schülers ist also weitgehend gesellschaftlich und auf den späteren Beruf bezogen und von daher motiviert, wenn gleich auch andere Lernmotive - materielle Vorteile, soziale Faktoren - mitspielen.
Die Berufsentscheidung ist von großer Bedeutung für den weiteren Lebensweg, daher sollten die Eltern und die Schule hierbei alle erdenkliche Hilfe geben. Das geschieht am besten dadurch, dass sie jede Gelegenheit nutzen, den Schüler über Berufsmöglichkeiten zu informieren, dass sie ihm helfen, die Vorzüge und Nachteile, besonders aber die Anforderungen des in die enge Wahl gezogenen Berufes zu erkennen. Über die Schule und andere gesellschaftliche Einrichtungen werden den Eltern und den Schülern Möglichkeiten geboten, an Betriebsbesichtigungen und Praktika und anderer Bereiche teilzunehmen und sich zu informieren. Es liegt im Interesse einer guten Schule, dass die Jugendlichen vorrangig auf für sie interessante Berufe orientiert werden. Hierin sollten die Eltern die Bemühungen der Schule voll unterstützen. Sie helfen damit zu verhindern, dass sich die Schüler zu stark und einseitig auf bestimmte „Modeberufe“ einstellen. Durch rechtzeitige Informationen und eine kluge Interessenlenkung kann der Schüler in diesem Sinne positiv beeinflusst werden. Wichtig ist darüber hinaus, wie er zur Arbeit angehalten wird. Der Heranwachsende braucht Pflichten, und jeder sollte seinem Leistungsvermögen angemessene Aufgaben erhalten, da sich die für den späteren Beruf wichtigen Eigenschaften - wie Pflichtgefühl, Verantwortungsbewusstsein, Ordnungsliebe - nur im Prozess der Tätigkeit und besonders bei der Erfüllung von Aufgaben ausbilden lassen. Darüber hinaus leistet der ältere Schüler so seinen Beitrag für sein späteres Leben. Dass hierbei das Vorbild der Eltern wichtig ist, versteht sich von selbst. Die Berufsentscheidung bei Ausbildungsberufen fällt in die Phase des Jugendalters und sollte von guten Schulen unterstützt werden.

Es zeigt sich, dass Jungen und Mädchen mit etwa vierzehn Jahren schon recht genaue Vorstellungen und besondere Wünsche haben, wie sie ihr späteres Leben einmal gestalten wollen. Sie machen sich Gedanken über ihre Lebensziele und schmieden Zukunftspläne. Ihre Vorbilder sind Menschen verschiedener Berufe, Persönlichkeiten, die besondere Leistungen vollbracht haben.
Der Zukunftsaufgeschlossenheit des Heranwachsenden sollen die Eltern entgegenkommen, indem sie, auf Vorbilder verweisen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich mit Helden unserer Zeit zu identifizieren, wenn das vom Erwachsenen bewusst beachtet wird und die Söhne und Töchter sich nicht selbst überlassen bleiben.
Andererseits sollten die Eltern und Schulen auf reale Zukunftserwartungen achten. Die mangelnde Lebenserfahrung, auch die noch nicht richtige Einschätzung der eigenen Kräfte, veranlassen die Schüler oft, irreale Zukunftsvorstellungen zu entwickeln. Nicht selten werden nur einseitig materielle Wünsche geäußert, oder man träumt davon, später einmal berühmt zu werden. Dabei lassen gerade die bisher gezeigten Leistungen solche Wünsche sehr fraglich erscheinen. Werden solche Wunschvorstellungen nicht bereits im Prozess ihrer Entstehung korrigiert, verfestigen sich falsche, illusionäre Lebenserwartungen. Misserfolge sowie Unzufriedenheit sind die unausbleibliche Folge für den jungen Erwachsenen. Man muss also beachten, dass gerade in der ersten Hälfte des zweiten Lebensjahrzehnts, Zukunftsvorstellungen und Absichten entstehen, die den weiteren Lebensweg des Menschen nachhaltig bestimmen.

Eine gute Schule beantwortet immer die Fragen der Jugendlichen

Eine besonders rasche Entwicklung finden wir im Bereich des Denkens. Der Jugendliche vermag etwa vom zehnten Lebensjahr an zunehmend besser abstrakt-theoretisch zu denken. Damit erschließen sich ihm im echten Sinne Zusammenhänge; er kann das Wesentliche erfassen und ist in der Lage, theoretische Zusammenhänge zu verstehen und beim praktischen Handeln zu berücksichtigen. Abstraktionsfähigkeit, Kombinationsvermögen und andere Fähigkeiten. Diese Fertigkeiten sind jedoch eine wichtige Vorbedingung für Problemsicht. Diese ermöglicht es dem Jugendlichen, in Verbindung mit seiner Wissbegier und den vorhandenen Kenntnissen selbständig in die Erscheinungen der Welt einzudringen. Es ist daher typisch für den älteren Schüler, dass er viele Fragen hat, über Erscheinungen in der Gesellschaft und im Leben, auch über persönliche Dinge nachdenkt, Probleme wälzt und grübelt. Das ist eine außerordentlich positive Erscheinung, denn durch die Auseinandersetzung mit fast allen Lebensbereichen vertieft sich seine Weltanschauung; es entwickeln sich neue geistige Interessen, vorausgesetzt, der Jugendliche wird mit seinen Fragen ernst genommen, unterstützt und gefördert. Gute Schulen tun gut daran, die Probleme des Jugendlichen aufzugreifen, ihn im sachlichen Meinungsstreit zu beraten und auch ihrerseits Fragen in die Diskussion zu bringen. Besonders wichtig ist dies im Zusammenhang mit Problemen des Unterrichts, mit der gesellschaftlichen und beruflichen Arbeit und gilt auch für Auseinandersetzungen mit den neuen Medien oder anderen künstlerischen Erlebnissen. Schüler haben nicht nur ein starkes Interesse an gesellschaftlichen, politischen und selbstverständlich auch naturwissenschaftlichen Fragen, sie sind auch fähig, Zusammenhänge zu begreifen. Nur wer Diskussionen aus dem Wege geht oder die Wissbegier des Jugendlichen lediglich mit unvollständigen Antworten befriedigen kann, wird den Eindruck haben, die Jugendlichen seien an weltanschaulich-politischen Fragen nicht interessiert. Dabei täuscht dieser Eindruck über das tatsächlich vorhandene Interesse hinweg, denn gewöhnlich informiert sich der Jugendliche dann anderswo und seine Informationsquellen sind mitunter recht fragwürdig. Viel leichter unterliegen die mit ihren Fragen alleingelassenen Jugendlichen dem Einfluss der falschen Vorbilder im Internet, als jene, die stets Verständnis und freimütige Aussprachen im Kreise ihrer Familie oder Schule finden.