Freie Schule

Freie Schule - Schüler am lernen

Was ist eine freie Schule? Auch hinter dieser Frage verbirgt sich mehr als ein Gedanke. Gerade das Wort "frei" verursacht Missverständnisse ohne Ende. Man muss versuchen, den Begriff freie Schule von unklaren Vorstellungen zu befreien und ein Verständnis für die eigentliche Bedeutung der Statusfreier Schulen herauszustellen. Auch wenn es theoretisch klingt, ein für Information über freie Schulen unerlässliche.

Es ist heute nichts Ungewöhnliches mehr, sein Kind auf eine freie Schule zu schicken, d.h. auf eine Schule, die nicht vom Staat unterstützt wird, sondern etwa von einem Verein, einer Kirche usw., und die in der Ausrichtung ihrer erzieherischen Arbeit desgleichen frei ist, freier jedenfalls als die Regelschulen.

Immer mehr Eltern überlegen sich heute die Schulwahl für ihre Kinder gründlich. Sie geben sich nicht damit zufrieden, dass der Einschulungsvorgang quasi automatisch geschieht – irgendeine öffentliche Regelschule ist ja stets zuständig. Immer mehr Eltern suchen für ihre Kinder Schulen, die nach besonderen pädagogischen Gesichtspunkten arbeiten, die andere Methoden anwenden und die ausgesuchte Ziele verfolgen.

Welches sind die Motive dieser Eltern ihr Kind auf eine freie Schule zu schicken? Es gibt darüber keine aussagekräftigen Untersuchungen, und die Vermutungen, die man anstellen darf, bleiben Spekulation:

Schulen in nichtöffentlicher Trägerschaft darf es aufgrund der Bundes- und Landesverfassungen geben, ein Recht das jahrzehntelang in Deutschland kaum Beachtung fand. Der Normalbürger wusste eventuell etwas von teuren Internaten und von konfessionellen freien Schulen. Wenn er etwas von den freien Waldorfschulen wusste, war er schon gut informiert.

Das hat sich gründlich geändert. Zwar sind es immer noch wenige, die alle Hintergründe und Möglichkeiten der Freie-Schulen-Landschaft kennen - auch erfahren nur wenige, wie restriktiv die Behörden das Grundrecht auf die Betreibung freier Schulen handhaben. Doch das allgemeine öffentliche und wissenschaftliche Interesse an diesen Einrichtungen nimmt ständig zu.

Anfangs - Mitte der 70er Jahre - hatte sich dieser Trend erst zaghaft gemeldet. Aber die Waldorfschulen verzeichneten anhaltend gute Zuwachsraten - und, scheinbar ganz unabhängig davon, kamen junge Eltern und Pädagogen auf die Idee, „einfach“ selbst freie Schulen zu gründen. Was zunächst mit den freien Schulen unbeachtet vor sich ging, entpuppte sich in den folgenden Jahren und bis heute als eine pädagogische Bewegung. Es schreckt die Schulpolitiker zwar nicht unbedingt auf, aber es dokumentiert die Entschlossenheit immer größerer Elternkreise, ihre Kinder der manchmal doch recht zweifelhaften Qualitäten der öffentlichen Schulen auszusetzen.

Eine andere, freiere Schule also soll es sein, die unsere Kinder besuchen sollen. Als in der ersten Hälfte der 70er Jahre die Reformeuphorie merklich verblasste, begannen viele zu sehen, in welchen Punkten sich die bildungspolitischen Bestrebungen dieser Zeit als zu utopisch erwiesen und in welchen anderen Punkten sie ihre Möglichkeiten gar nicht ausgeschöpft hatten. Im Grunde hatte schon damals die große Zeit der freien Schulen ihren Anfang genommen. Sie vermehren und vermehren sich seither rapide. Auch wenn in manchen deutschen Regionen noch viele Wünsche offenbleiben, kann sich das Angebot an alternativen Schulformen immer mehr sehen lassen.

Gerade jene Eltern, die seit dem Ende ihrer Schulzeit keinen müden Blick für diese Institution mehr übrig hatten, werden jetzt nach Kriterien für eine gute Schule suchen. Obwohl mit nur Wenig mehr Wissen als den eigenen Schulerfahrungen ausgerüstet, wird man sich nicht darauf verlassen wollen, dass die schlimmsten der erlittenen Missstände in den »freien Schulen« behoben sind. Wonach also soll man in einer hoffentlich besseren Schule eigentlich suchen?

Natürlich ist es richtig und sinnvoll, die eigene Schul- und Lebenserfahrung, den - gesunden Menschenverstand - zur Beurteilung mit einzusetzen. Doch darüber hinaus sollte es freilich allgemeinere, objektivere Prüfsteine geben. Hier bieten sich pädagogische Gesichtspunkte an, die sich in der Geschichte der Reform- und Modellschulen wiederholt zu deren zentralen Merkmalen entwickelten. Merkmale, die die Besonderheit solcher Schulen ausmachten. Sie korrespondieren in der folgenden Aufzählung mit allgemeinen Anforderungen, die Eltern und Pädagogen gleichermaßen an ein effektives, menschliches und für die Kinder tatsächlich nützliches »Schule-Machen« stellen können.

Es lassen sich - nehmen wir es hier vorweg - fünf solcher globalen Gesichtspunkte nennen, die Eltern für eine angemessene Schulwahl bedenken sollten:

Wir wollen diese Bereiche jetzt kurz durchgehen und dabei zeigen, welche Chancen, aber auch welche Problemfelder sich bei einer reformerisch orientierten Schulpraxis auftun.

Die Wissensvermittlung oder das sogenannte kognitive Lernen

Schon immer nahm die öffentliche Regelschule diesen Teil ihrer pädagogischen Aufgaben am wichtigsten. Schon die Reformpädagogen schmähten mit ihrer Kritik zu Beginn unseres Jahrhunderts die staatlichen Lernanstalten als ››Lern- und Drillschulen«, die nichts anderes als Disziplin und das Durchpauken von Stoff kennen. Wer jedoch nun glaubt, dass die Regelschulen wenigstens bei diesem Teil ihrer Aufgaben Phantasie entwickeln und ihn zur Zufriedenheit anspruchsvoller Eltern und Pädagogen lösen, sieht sich getäuscht. Auch wenn es ››nur« darum geht, Schülern etwas beizubringen. Die Vermittlungsformen, die auch heute noch in den Regelschulen gang und gäbe sind, wirken arm im Gegensatz zu den Methoden, die die Reformschulen bzw. freien Schulen schon vor über 50 Jahren erprobt hatten.

Dies hier sind die entscheidenden Aspekte, die der aufmerksame Beobachter eines konkreten Schulgeschehens vermerken kann:

Die Verteilung des Lernstoffes

Die strikte Aufteilung des Wissensstoffes in Fächer und seine Stückelung in 45 minütige Arbeitsphasen nannte schon in den 20er Jahren der Reformpädagoge Peter Petersen geringschätzig ››Fetzenstundenplan«. Absurd erscheint die Vorstellung, dass in solchen kurzen Zeitphasen, die zudem 4- bis 5mal pro Vormittag in ein jeweils anderes Thema wechseln, etwas Wesentliches gelernt werden könnte.

Man mag es kaum fassen, dass fast alle Regelschulen dieser Welt so organisiert sind. 1. Stunde Deutsch, 2. Stunde Biologie, 3. Stunde Sport, 4. Stunde Mathematik, 5, Stunde Religion, 6. Stunde Französisch.

Alle freien Schulen organisieren die zeitlich-thematische Abfolge der Stoffvermittlung anders. Nämlich meist in größere zeitliche Blöcke, in der Abfolge nicht so zwingend und so, dass Zusammenhänge zwischen verschiedenen Wissensbereichen offenbar werden können. Sie folgen dabei der Erfahrung, dass man in eine Thematik nur dann tiefer eindringen kann, wenn man sich länger und ohne zeitliches Korsett mit ihr befasst. Thematische Abgrenzungen erweisen sich oft als wenig sinnvoll. Übergreifende Zusammenhänge komplexer Themengebiete werden am ehesten bei einer zeitlich und inhaltlich flexiblen Reihenfolge deutlich.
Man sollte versuchen, sich ein recht genaues Bild zu verschaffen, wie die Schule die eigentlichen Lernvorgänge organisiert.
Dabei erweist es sich als vorteilhaft, sich nicht nur mit allgemeinen Erklärungen über die äußeren Abläufe zufrieden zu geben. Man versetze sich in die Perspektive des Schülers, der mit diesen Abläufen jahrelang leben muss.

Lernen durch Denken und Handeln

Das Kind lernt, indem es tut. Auch Jugendliche und Erwachsene verstehen Inhalte und Bedeutungen besser, wenn sie sich durch eigene Aktivität damit auseinandersetzen. Seit langem schätzen Pädagogen das bloße abstrakte Buchwissen gering ein. Sie meinen zwar nicht, dass sich jegliches Studium im Handlungsvollzug abzuspielen hätte; aber Buchwissen (Theorie) erhält zuvorderst über seine praktische Anwendung für den Lernenden einen Sinn. Erst die Anwendung legt wirkliche Bezüge zu vorher und später erworbenem Wissen nahe und lässt Problemhorizonte bewusst werden. Wenn pädagogische Reformkonzepte diesen Aspekt so einhellig und deutlich betonen, negieren sie nicht alle gedankliche Arbeit, sie verdeutlichen vielmehr das Dilemma der Regelschule, die in ihrem kopflastigen Vorgehen entscheidende Lernchancen von vornherein ausschließt.

Ein effektiver Erwerb von Wissen und Fertigkeiten vollzieht sich also über praktisches Tun, über ein Lernen, das aus Handlungsabläufen erwächst. Eine gute Schule richtet ihre Arbeit nach dieser Erkenntnis aus. Sie gibt den Kindern und Jugendlichen immerzu Gelegenheiten, durch eigene Anschauungen, über Versuch und Irrtum, durch Ausprobieren an den Gegenständen selbst und mit einem gewissen Ernstcharakter zu lernen. Es ist in erster Linie solchermaßen erworbenes Wissen, das eine wirkliche Vorstellung von dem beinhaltet, was man da gelernt hat, und das auch später ohne große Probleme wieder anwendbar ist. Die freien Schulen versuchen diese Aspekte zu berücksichtigen.

Erfahrungs- und umweltbezogenes Lernen

An der Wirklichkeit lernt es sich am ehesten.
Man würde dies gern als Binsenweisheit abtun. Was lernt man schon an Unwirklichem, Fiktivem, Simuliertem? Wer wirkliches Leben und wirkliche Probleme meistern will, wird sich an ihnen messen und erproben müssen. Wenn dies hier so betont wird, dann darum, weil die Regelschulen genau das eher verhindern. In ihnen wird die reale Welt aufbereitet, verändert und didaktisch reduziert. Sie bilden Inseln, die die Regeln der Lebenswelt aufheben. Lernen findet jedoch besser in der Wirklichkeit statt, in direkten Beziehungen und in unmittelbarem Erleben.
Die Orientierung der schulischen Arbeit an solchen Grundsätzen zeigt sich z.B. daran, ob Schulräume und Schule häufig verlassen werden - nicht als »Happening-artige Befreiung« vom sonstigen Unterrichtseinerlei, sondern als normaler und selbstverständlicher Vorgang. Inwieweit gelingt es der Schule, »Wirklichkeit« in ihre Mauern hereinzuholen und den Schülern echte Erfahrungen zu ermöglichen? Auch dieses Hineinholen besitzt seinen Sinn. Doch da, wo die meisten Regelschulen es zur einzigen Methode erheben, sucht eine freie Schule immer wieder nach Möglichkeiten, vor Ort zu lernen, da, wo Wissen und Fertigkeiten auch umgesetzt werden.

Individuelles Lernen oder Standardbelehrung?

Jedes Kind lernt gemäß seinen ihm eigenen Möglichkeiten und Voraussetzungen. Das heißt nicht, dass es immerzu allein zu arbeiten hätte. Doch seine speziellen Vorerfahrungen, seine Art zu arbeiten, seine Bedürfnisse und seine Motivation werden zum entscheidenden Kriterium, das seinen Lernprozess bestimmt.

Die Pädagogik der Regelschule kennt dagegen nur das Vorgehen im Gleichschritt, das gemeinsame (und doch nicht gemeinsame, weil jeder isoliert auf seinem Platz sitzt) »Durchnehmen« von Stoffen.

Das Tempo orientiert sich am Durchschnitt der Klasse und richtet sich nach den Vorstellungen des Lehrers bzw. des Stoffverteilungsplanes. Auch die Methode und die Inhalte werden fremdbestimmt (in jedem Fall für das Kind und in vielerlei Hinsicht auch für den Lehrer). Einige Kinder fühlen sich über-, andere unterfordert und gelangweilt. Der Grund ist, dass ein derart genormter Lernstoff immer auf ganz unterschiedlich strukturierte Persönlichkeiten, Vorerfahrungen, Bereitschaften, Lerntypen usw. trifft. Ein Kind nimmt die Wirklichkeit am günstigsten über seine spezifische Art des Zugangs zu Wissen auf.

Zu solchen eigenen Wegen sollte daher den Kindern Gelegenheit gegeben werden. Eine gute Schule macht sich die Mühe, von standardisierter Einheitsbelehrung abzurücken. Sie bemüht sich immer wieder um vielfältige Methoden und lässt es zu, dass die Kinder gleiche Inhalte auf verschiedene Art und Weise erlernen. Sie nimmt auch Rücksicht auf die unterschiedlichen Vorlieben für bestimmte Gebiete. Die Schüler haben die Möglichkeit, entsprechend ihren thematischen Interessen zu wählen. Eine gute Schule versteht es, solche Vielfalt mit dem Anspruch einer hinreichenden Allgemeinbildung zu vermitteln. Bei freien Schulen funktioniert das manchmal besser und manchmal schlechter aber sie versuchen es wenigsten.

Die Persönlichkeitsbildung oder das sogenannte emotionale und soziale Lernen

Wer die Lehrpläne der öffentlichen Schulen mit ihren wohlklingenden Präambeln durchblättert, könnte meinen, dass es um diesen Bereich schulischer Aufgaben bestens bestellt ist. Persönlichkeitsbildung - ja, natürlich soll die Schule das leisten, da gibt es niemanden, der das nicht wichtig fände.

Die Schulwirklichkeit sieht bekanntermaßen anders aus. Und dies nicht erst seit gestern. Fehlende erzieherische Elemente kennen wir schon als ein wichtiges Gründungsmotiv der Reformschulen überhaupt. Und es ist ebenso kurios wie bedauerlich, dass die heutigen reformpädagogischen Schulen ihre diesbezügliche Argumentation nicht ändern müssen.

Allein die Sprache hat sich gewandelt. Die aktuellen Schlagworte lauten Motivationskrise, No-future-Stimmung, Vermassung, Vereinzelung, Schulstress, Sinnkrise. Um jeden solcher Begriffe spannen sich ein Geflecht von Argumentationen sowie eindringliche Rufe nach Abhilfe, denen die Regelschule nur sehr wenig entgegenzusetzen hat und denen gegenüber die freien Schulen sich geradezu als Rettungsanker darstellen können. Die folgenden Gesichtspunkte bieten eine Orientierung, wie es um das soziale Miteinander und das emotionale Klima einer Schule bestellt ist.

Die Verschiedenartigkeit der Kinder

Die Regelschulpädagogik betrachtet sie in der Regel als Nachteil. Um kognitives Lernen zu optimieren, müssen die Kinder einer Klasse so gleichartig wie möglich sein. Nur so könne für jede Lerngruppe das angemessene Lerntempo verwirklicht werden.

Dieser Glaubenssatz hat sich auch an den Gesamtschulen durchgesetzt - die Schüler werden nach Leistungsgruppen sortiert. Nur die Grundschule verzichtet auf solche Leistungsdifferenzierung, nicht aber auf die Altersgleichheit. Minidorfschulen, in denen man wenige Kinder von verschiedenen Altersjahrgängen zugleich unterrichtet, werden abgeschafft und dies als pädagogischer Fortschritt gefeiert.

Die freien Schulen sehen diese Frage anders. Die reine Wissensvermittlung an verschieden begabte Kinder leidet allenfalls, wenn dabei so schematisch wie in der Regelschule vorgegangen wird. Nach erzieherischen Gesichtspunkten ergehen sich jedoch unbedingt Vorteile. Die Schülergruppe soll so aufgebaut sein, wie es den Verhältnissen in der Gemeinde oder dem Einzugsbereich entspricht. Häufig werden auch behinderte Kinder integriert. Verständnis für die Andersartigkeit von Menschen, die Fähigkeit, mit vielen Arten von Menschen umzugehen, Toleranz oder Verhaltensvielfalt sind die Persönlichkeitsmerkmale, die sich die freien Schulen von einer gemischten Gruppenzusammensetzung erhoffen.

Im Einzelfall sind die konkreten Gesichtspunkte zu prüfen, die die Gruppenstruktur bestimmen: werden beispielsweise Behinderte oder Ausländerkinder integriert, gibt es altersgleiche oder -verschiedene Gruppen, wie flexibel ist die Gruppenzusammensetzung, d.h. wie leicht kann ein Kind die Gruppe wechseln, wie häufig ist die Gruppe geteilt oder mit anderen Gruppen zusammen usw.?

Der Umgang mit der Angst

Die Schule, in der niemand mehr Angst hat, wird es wohl nie geben. Zustände der Angst gehören zum menschlichen Leben. Schule kann keine Angstfreiheit herstellen. Sie kann sich aber darum bemühen, Kindern so wenig Angst wie möglich zuzumuten, nämlich nur so viel, wie sie auch wirklich verkraften können. Schule kann den Umgang mit der Angst erleichtern. Sie kann danach streben, dass ihre Abgänger nicht ängstlich, sondern aufrecht und lebensbejahend in die Welt der Erwachsenen treten.

Einer guten Schule gelingt es, mit der Angst der Kinder umzugehen, ihnen in angstvollen Situationen zu helfen und ihnen unnötige Angstfaktoren zu ersparen. Eine schlechte Schule setzt Angst als Erziehungsmittel ein. Eine schlechte Schule glaubt, Kinder durch Angst zum Lernen motivieren zu müssen. Sie kümmert sich ansonsten nicht um die Ängste der Kinder. Sie lässt sie damit allein. Sie tut, als gäbe es sie nicht, und wenn doch, so geht sie diese privaten Ängste nichts an.

Es ist nicht leicht, eine Schule im Hinblick auf das ihr innewohnende Angstklima schnell zu prüfen. Indizien bieten zunächst die Häufigkeit und die Rigidität von Zensuren-Erteilung, die Häufigkeit und die Art von Strafen. Gibt es Schulpsychologen beziehungsweise Vertrauenslehrer, die diesen Namen wirklich verdienen? Wie wichtig nimmt die Schule erzieherische Probleme insgesamt und wie pflegt man sie zu lösen? Wer Gelegenheit hat, eine Schule länger zu besuchen und beim Unterricht zu hospitieren, wird das Vertrauensverhältnis zwischen Lehrern und Schüler einzuschätzen lernen. Er sieht, wie die Schüler miteinander umgehen, etwa mit Außenseitern oder sonst auffälligen Kindern.

Hierarchie und Freiheit

Auf das pädagogische Grundproblem des Gradwandelns zwischen Freigabe und Fremdbestimmung werden wir noch ausführlicher eingehen. Inwieweit wird der Lernvorgang der Kinder durch die Pädagogen bewusst gesteuert, und inwieweit wird auf die Wünsche und Neigungen der Kinder eingegangen? Wo macht man ihrem Verhalten in erzieherischer Hinsicht Vorschriften, und wo dürfen sie sich frei verhalten?

Für uns geht es zunächst um die Frage, welche Hierarchien insgesamt an einer Schule herrschen und wie damit umgegangen wird. Gibt es beispielsweise einen Schulleiter oder eine kollegiale Selbstverwaltung aller Lehrer? Gibt es in Teilbereichen jeweilige Leiter oder gleichberechtigte Fachgruppenteams?

Sind Mitsprache- und Mitentscheidungsmöglichkeiten der Schüler nur formal auf dem Papier geregelt, oder gibt es so etwas wirklich, und greift es noch? Wie gehen die Erwachsenen der Schule mit Konflikten um, die untereinander bestehen?

Vom Umgang der Lehrer und eventuell vorhandener leitender Lehrer miteinander lässt sich in der Regel sehr zuverlässig darauf schließen, wie streng das Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern gehandhabt wird. Bei allen reformpädagogischen Schulmodellen will man sich von der starren Hierarchiepyramide des öffentlichen Schulsystems absetzen. Freilich kommt man zu unterschiedlichen Lösungen mit unterschiedlichen Konsequenzen für die Schulwirklichkeit der Kinder.

Über Gefühle und Verhalten sprechen

Ein solcher Anspruch ist hoch. Schon vielen Erwachsenen fällt es schwer, untereinander ihre Gefühle und ihr Verhalten anzusprechen. Es erfordert viel Bereitschaft des Lehrers und ein sehr sicheres, emotional warmes Klima innerhalb der Lerngruppe, um Kinder und Jugendliche zu sinnvollem Nachdenken über sich selbst, ihre Haltung zu anderen und zur Umwelt, über ihre Wünsche, Ängste und Gefühle zu verhelfen. Wo solches aber möglich ist, wachsen junge Menschen heran, die Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein besitzen, die wissen, wer sie sind, und die klare Entscheidungen für ihren Lebensweg treffen können.

Kulturelle Bildung

Mit Einsetzen der Kunsterziehungsbewegung, ideologisch gestützt durch Julius Langbehns Schrift »Rembrandt als Erzieher« von 1890, hielt man kulturelle Bildung, also die Beschäftigung mit Musik, Kunst, Theater, schöngeistiger Literatur und Sport für den wesentlichsten Bestandteil einer auf Persönlichkeitsbildung abzielenden Unterweisung.

Heute rücken eher die in den vorgenannten Abschnitten ausgeführten Aspekte in den Vordergrund: Umgang mit der Angst, Thematisierung von Gefühlen und Verhalten, Umgang mit Freiheiten und Selbstverantwortung usw.

Dennoch wird keine qualitätsvolle Schule auf das Musische verzichten. Nicht nur die freien Schulen betonen, dass die Kunst einen Ausgleich für die ausgeprägte Rationalität und Unerbittlichkeit des Lebenskampfes bieten soll. Kunst möge als ein Korrektiv gelten, das Moral, Ethik und guten Sitten zu ihrem Recht verhilft. So antiquiert manchem diese Appelle auch erscheinen mögen, der Praxis der freien Schulen kommt fast immer das Verdienst zu, einer Verarmung der kindlichen Gestaltungskräfte, ihres Ideenreichtums, ihrer Fertigkeiten und insgesamt ihrer musischen Bildung ganz entschlossen entgegenzuwirken. Sie bekunden nicht nur auf dem Papier, dass sie den heranwachsenden Menschen in seiner Ganzheit von geistigen, körperlichen und künstlerischen Tätigkeiten verstehen wollen, sie verwirklichen diesen Anspruch auch konsequent durch unterrichtliche Angebote.

Die Beurteilungspraxis

Über die Untauglichkeit der schulüblichen Zensuren Skala muss heute nicht mehr lange diskutiert werden. Sie beschreibt die Leistung eines Kindes höchst ungenau und unbefriedigend. Sie provoziert Ungerechtigkeiten, stempelt ab, richtet über Berufs-und Lebenschancen, erzeugt Depressionen und Schülerselbstmorde, sie ist für familiären Dauerstress verantwortlich, sie verhilft Nachhilfelehrern zu einträglicher Tätigkeit usw.

Selbst an den öffentlichen Regelschulen experimentiert man zuweilen mit der Beurteilungspraxis. An Gesamtschulen versuchte man es ohne Erfolg mit anderen Zensuren Skalen. Ein kleiner, aber wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist die Abschaffung der Notengebung in den ersten zwei Grundschuljahren in Nordrhein-Westfalen.

Aller berechtigten Kritik ist jedoch entgegenzuhalten, dass Kinder, so sehr sie auch unter der Notengebung leiden, durchaus eine Beurteilung ihrer Arbeit wünschen. Der freien Schule, die sich ja zudem nicht davor drücken kann und will, ihre Absolventen mit einem Zeugnis auszurüsten, stellt sich somit die Aufgabe, angemessene Formen zu entwickeln, die die positiven Aspekte des Beurteilens zur Geltung bringen und die negativen vermeiden. Es muss zudem praktikable Regelungen geben, die dem Abgänger bei Schulwechsel (Umzug) oder am Ende der Schulzeit echte Arbeitsplatzchancen verschaffen.

Die Elterneinwirkung

Wer für seine Kinder mit Bedacht eine freie Schule auswählt, stellt in der Regel hohe Ansprüche an diese Einrichtung. Er will die Geschicke seines Kindes auf dieser Schule mitverfolgen und zum Guten hin beeinflussen. Den engen Kontakt von Elternhaus und Schule kennen wir ohnehin seit langem als pädagogische Standardforderung. So überzeugend sie auch immer wieder vertreten wird, so selten wird sie erfüllt.

Nun kennt die Regelschule durchaus Formen der Elternmitwirkung, die auch durch Gesetze und Erlasse geregelt sind. Nennenswerten Einfluss erlangen Eltern dadurch jedoch nicht. Sie bleiben in der Regelschule fast immer Außenstehende und sind allenfalls in gewissen institutionalisierten Gremien wie Elternpflegschaft oder Schulkonferenz vertreten - Gremien, die in der Praxis so funktionieren, dass sie weitaus eher irgendetwas verhindern, als dass von ihnen neue, produktive Impulse ausgehen könnten.

Gute Elternmitwirkung ist dann gegeben, wenn der Einzelne Möglichkeiten sehen kann, durch sein Zutun positive Akzente in der Schule zu setzen. Beispielsweise, wenn er gelegentlich im Unterricht, im handwerklichen oder im künstlerischen Bereich selbst mitarbeiten indem er organisatorisch mitgestaltet, indem er pädagogische Fragen mitdiskutiert, indem er für kleine Teilbereiche des schulischen Geschehens Verantwortung übernehmen kann. Alle freien Schulen, sieht man einmal von den Internaten ab, gehen bei der Elternmitwirkung weit über das hinaus, was in den Regelschulen möglich und üblich ist.

Die Berufs- und Lebensqualifizierung

Beides soll eine gute Schule leisten. Doch ein zuverlässiges Urteil, ob sie das kann, ist für niemanden leicht abzugeben.

Strebsamen Schülern Qualifizierung für das Berufsleben mitzugeben, erscheint indessen nicht so schwer. Da gilt es, die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen zu vermitteln, vielleicht noch Fremdsprachen und einige andere spezielle Kenntnisse. Da vermittelt die Schule weiterhin - ohne dass es dafür ein Fach oder einen Lehrplan gäbe - allein durch die Art ihres Funktionierens Eigenschaften wie Durchhaltevermögen, Arbeitsdisziplin, Autoritätsgläubigkeit, Fleiß, Ordentlichkeit, Pünktlichkeit und was der sittsamen Charaktermerkmale noch mehr existieren. Nützliche Dinge für ein erfülltes Berufsleben!

Doch häufig genug - wir sagten es schon - scheitert die Schule mit diesen Zielen; und noch häufiger beschränkt sie sich auf sie. Nicht nur, dass die Schule allzu oft nach zehn Jahren Jugendliche entlässt, die des Schreibens und Rechnens unkundig sind, ebenso Jugendliche mit panischen Ängsten vor Leistungsanforderungen, angehende Studenten, die unfähig sind, dem Stress einer mündlichen Prüfung standzuhalten, gebrochene Jugendliche mit Kontaktschwierigkeiten, Depressionen und fehlendem Selbstvertrauen! Selbst wenn es in der Schule gelänge, solche Defekte aufzufangen, zum Jubeln bestünde kein Anlass. Niemand kann heute damit zufrieden sein, wenn die allgemeinbildende Schule nicht mehr als eine gewisse berufliche Qualifizierung in die Wege leitet.

Was man als Lebensqualifizierung bezeichnen könnte, ist die Fähigkeit, das eigene Leben bewusst und selbstsicher in die Hand zu nehmen; ist das Heranwachsen zu einer Persönlichkeit, die problematischen Lebenssituationen zu begegnen Weiß, die sich Hilfe zu holen versteht, die anderen helfen kann; eine Persönlichkeit, die sich selbst mag und akzeptiert, die ihre eigenen Interessen wirklich kennt und die sich auch durchzusetzen versteht. Sicher, es mutet wie ein Idealbild an, das durch diese wenigen Sätze entworfen wird. Letztlich sind es aber Fähigkeiten wie diese, die für eine erfolgreiche Meisterung sowohl des beruflichen wie auch des privaten Lebenswegs maßgeblich sind.

Von einer guten Schule wird man erhoffen, dass sie die Kinder und Jugendlichen auf dem Weg zu solch einer Persönlichkeit unterstützt. Wie die Schule das machen soll? Sicher ist es sinnlos, erstrebenswerte Charaktermerkmale in den Lehrplänen und Lernzielkatalogen festzuhalten. Eine gute Schule bietet eine lebens- und persönlichkeitsbejahende Gesamtatmosphäre. Sie präsentiert sich nicht als isolierte Lerninstitution, Sie vermag den Eindruck zu erwecken, dass sie nicht nur Lern-, sondern auch Lebensraum ist. Was auch in ihr stattfindet, Lernvorgänge, Bildungsprozesse, künstlerisches und handwerkliches Tun, das Umgehen der Kinder miteinander, der Kinder mit den Lehrern, der Lehrer untereinander, all dies wird in einer guten Schule eine organische Einheit bilden. Es wird sich nicht jenseits der Wirklichkeit abspielen, und es wird von einer freudvollen und natürlichen Grundstimmung getragen.

Viele Schulmodelle - viele Schulchancen für Ihre Kinder?

Natürlich ist es Unsinn, so zu tun, als hätte man immer diese Wahl. An den meisten Orten in Deutschland kann man froh sein, wenn wenigstens eine oder zwei dieser freien Schulen über einen vertretbar langen Schulweg der Kinder erreichbar sind.
Dies engt die Entscheidungsmöglichkeiten von vornherein ein. Auch wenn es manchen enthusiastischen Pädagogen kranken mag, es sind äußerliche Gründe wie Schulweg, Schulgeld, Freundschaften der Kinder oder andere organisatorische Einzelheiten, die, wenn es ernst wird mit einer Entscheidung, vielleicht den gleichen Stellenwert bekommen wie das besondere pädagogische Profil der Schulen. Die Frage, die man sich als Eltern jedoch stellen sollte, lautet: Wird sich das Kind in der jeweiligen Schule wohl fühlen, wie mag sich das Schulgeschehen aus seiner Perspektive darstellen?
Es ist aus erziehungswissenschaftlicher Sicht ohnehin kaum möglich, ein seriöses Urteil darüber abzugeben, welches Schulmodell denn nun etwa das Beste sei. Es fehlen dazu, die notwendigen wissenschaftlichen Untersuchungen. Soweit es einzelne Studien gibt, sind diese nicht miteinander vergleichbar. Sie belegen in der Regel, dass die freien Schulen gut sind, jedenfalls besser als die Regelschulen. Doch einen Vergleich verschiedener freien Schulen beinhalten sie nicht.